(von Jakob Blomer)
Neulich krittelte die c't am Jahr der Informatik (2006) herum, hier werde die Informatik reduziert auf „irgendwas mit Computern“. Nun, wer einen Eindruck von diesem „irgendwas“ bekommen möchte, der erkläre seinen Freunden und Bekannten mal, was es mit ACM ICPC auf sich hat, und beobachte den sich etwa ab der Hälfte des Akronyms einstellenden Gesichtsausdruck. (Ich habe mich schließlich mit „Speedcoding“ leidlich aus der Affäre gezogen). Und wenn ihr dabei noch aufblitzen laßt, was die Welt zwischen einem Pragma und einem printf im Innersten zusammenhält, dann lohnt sich dieses Praktikum für euch auf jeden Fall.
Zwei Dinge lernt ihr. Kleine, effiziente Programme schreiben, erstens. Vergeßt alles, was ihr über Software gelernt habt (vgl. G. Goos 2000, 5.5.4). Schreibt dreckig. So richtig. Kaum ein Problem verlangt mehr als 80 Zeilen Quellcode, aber bei denen müssen dem gcc die Augen tränen. Es ist ein Tanz ohne Netz auf dem schmalen Grat zwischen Eingabe- und Ausgabespezifikation. Beinahe en passant nehmt ihr einige der besten Algorithmen für die häufigsten Probleme mit, ihr lernt, mit dem O-Kalkül zu jonglieren und dabei ab und zu kräftig daneben zu hauen, ihr lernt, mit einem Blick zu sehen, worum es eigentlich geht (des isch a Deikschtra, wie unsere Linzer Kollegen gerne betonten), wie nützlich „diese ganze Mathematik immer“ ist und daß sie euch im Ernstfall natürlich doch im Stich läßt; kurz: ihr lernt, euch etwas einfallen zu lassen, oder, wie man es im Fachjargon mitunter nennt, Programmieren.
Zweitens: Ihr arbeitet unter Zeitdruck. Er zwingt, vom theoretischen Roß abzusteigen und zu Fuß weiterzulaufen, und zwar ein bißchen fix. Er zwingt, aus einer Handvoll Problemen gerade die auszuwählen, die sich in ein bis zwei Stunden lösen lassen. Erweckt einen zügellosen Appetit, dieser einen Frage bis zum letzten Spezialfall auf die Schliche zu kommen, und zwar sofort, selbst wenn man sich beim x-ten „wrong answer“ in die Faust beißen mag. Das Prinzip ist einfach: lieber ein Problem richtig, als fünf Probleme halb. Laßt euch bloß nicht entmutigen, das funktioniert mit ein bißchen Übung erfreulich oft. Plötzlich dauert es nicht Tage, sondern Stunden um den Kern eines Problems erschöpfend zu lösen. Und wer nach einigen Stunden Programmieren aus dem hochleistungsklimatisierten ATIS-Poolraum kommt, weiß wie die Wand, stellt fest: das hat verdammt viel Spaß gemacht!
Was in Kürze zum Schönen, Wahren, Guten zu sagen ist. Wer den linguistischen Trampelpfad ACM ICPC nimmt, bemerkt vielleicht, daß das letzte C für Contest steht, damit ganz im Sinn des höher, schneller, weiter. Und welcher Ort böte sich für diese erstaunliche Symbiose wohl besser an als die erstaunlichste Stadt des Universums: Paris. Paris, die Stadt der gemütlichen Cafés und des fulminant illuminierten Eiffelturms, die Stadt der berüchtigten Salsaclubs, die Stadt, in der man auf der Jagd nach photogenen Motiven so herrlich die Champs-Élysées entlangflanieren kann, in lauen Winternächten auch mal im Pullover, gell, Tim, Paris, wo man für sieben gebuchte Zimmer drei bekommt (lächeln!), wo die Alleen breiter sind, die crêpes aux marrons frischer und der Rotwein ein warmes Versprechen ist. Ihr merkt schon: das geht gleich mit einer ganz anderen Geschmeidigkeit einher, mit einer gewissen Biegsamkeit des Gemüts (ein Meister aus Deutschland übrigens) und bereits bei den letzten Vorbereitungen zur Fahrt hat die Schneibarkeit zweifellos zugenommen.
Der Kulturschock folgte auf dem Fuße. Denn siehe da: andere Universitäten haben auch gute Studenten. Für die Mannschaft - schließlich sind wir nicht nur Papst, sondern auch „Champion unter den Naturwissenschaften“ (Zitat Hippler) - eine ganz neue Erfahrung, wobei die leisen Kassandrastimmen, die wir billigend in Kauf nahmen, Informatik wohl eher zu den Strukturwissenschaften zählen.
Höhepunkte: Der akademische Vortrag eines berühmten Franzosen, dessen Name mir entfallen ist. Wenn ich mich recht erinnere, hat er mehr oder weniger wohlklingendes Tonmaterial synthetisiert und generierte mit verschiedenen Verfahren kleine Variationen über das Thema. Jedenfalls hat er ein paar wirklich interessante Ideen über Markow-Ketten vorgestellt, wie man Strukturen in Musik beschreiben kann und mit etwas Glück und der richtigen Collagetechnik aus Musikfragmenten quasi neue Melodien im selben Stil erzeugt. Etwas mehr in die Tiefe hätte er gehen können.
Selbstverständlich der Höhepunkt: der eigentliche Wettbewerb in den fürstlichen Gemäuern der École Polytechnique. Trotz erbaulicher Diskussionen über team strategy bewahrheitete sich in geradezu zwingend stringenter Konsequenz die Altkanzler Kohl zugeschriebene und zweifellos richtige Erkenntnis, daß über Erfolg letztlich entscheide, was hinten raus kommt. Die französische Truppe übrigens kümmerte sich rührend, die Bedingungen waren entsprechend gut und unser Wettbewerbsleiter sprach gelegentlich verschiedenen Alkoholika zu; überhaupt hatte die École den Laden im großen und ganzen einfach im Griff. Wir bekamen Heliumballons mit auf den Rückweg, einen für jedes gelöste Problem, um damit im Bus die Marseillaise anzustimmen.
Schon ein spannendes Wochenende, vor allem in den vielen kleinen Dingen, die nur selten die Grenze ins Bizarre streiften. Schönen Dank an unser Karlsruher Team, das uns die Reise ermöglichte, uns stets Mut zusprach und mit der Vorbereitung auf fast alle Fährnisse fast immer ziemlich richtig lag, vor allem mit der Erkenntnis, daß, wer es ernst meint mit diesem Wettbewerb, gar nicht früh genug (SS 2006) damit anfangen kann.